500 Jahre Message Control und ein Plädoyer für freien Journalismus
Bis Herbst 2019 zeigt das Stift Klosterneuburg die Ausstellung Des Kaisers neuer Heiliger. Darin geht es um die Heiligsprechung des Stiftgründers Markgraf Leopold III. durch Kaiser Maximilian I., der vor 500 Jahren starb. Es wird aber auch gezeigt, wie der medienaffine Kaiser und seine Berater sich neuer Technologien bedienten um das zu tun, was wir heute gerne „Message Control“ nennen – sein Image mittels minutiöser Inszenierung und aktiver Medienarbeit selbst zu kontrollieren. Die Kuratoren der Ausstellung, Dr. Martin Haltrich und sein Team, organisierten gemeinsam mit dem Presseclub Concordia den Workshop „500 Jahre Message Control“, in dem historische und aktuelle Strategien gegenübergestellt wurden.
Bei der Ausstellungseröffnung hielt dann Concordia Generalsekretärin Daniela Kraus im Stift ein Plädoyer für unabhängigen Journalismus:
„Sie, liebe Zuhörer, kennen sicher das Gefühl, von einem „Narrativ“ verführt zu werden – oder anders gesagt das Gefühl, dass Ihnen jemand ein Gschichtl erzählt. Sie kennen wahrscheinlich auch das Gefühl, dass Ihnen die Einordnung schwer fällt, weil Sie zu wenig Zeit haben, alle Fakten zu sichten. Dass Sie eigentlich weiter recherchieren sollten. Oder, immer online, immer im Internet, auch: dass Sie an einem Informations-Overflow leiden.
Wenn Ihnen das bekannt vorkommt, habe ich eine gute Nachricht für Sie: Es gibt jemanden, der für Sie Relevantes aus dem Meer der Informationen auswählt und Ihnen präsentiert.
Ich meine nicht Facebook.
Ich meine den Beruf, der sich ganz und gar dieser Aufgaben widmet. Er heißt Journalismus. Er nimmt Ihnen auch noch andere Arbeiten ab: Fakten recherchieren, sie auf ihre Richtigkeit prüfen, sie in Zusammenhänge bringen, den Kontext herstellen, Komplexes verständlich machen, den „Spin“ einer Geschichte aufzeigen, das alles in einer ansprechenden Ästhetik aufbereiten.
Denken Sie kurz nach: Woher haben Sie in den letzten Tagen die für Sie wichtigen Nachrichten erhalten? (Und ich meine hier Nachrichten im Sinne von „News“ und nicht die Fotos erster Frühlingsblumen in den Gärten Ihrer Freunde.) Höchstwahrscheinlich aus einem Medium. Sie haben eine Zeitung gelesen oder ein Magazin, Radio gehört, ferngesehen oder im Internet Nachrichten gelesen. Noch immer, das zeigen Daten, bezieht die Hälfte aller Wahlberechtigten ihre Informationen vor allem aus Medien.
Und mit „Medium“ wiederum meine ich nicht Google.
Ich meine journalistische Medien. Sie sind zu Ihren Nachrichten zwar vielleicht via Google gekommen. Aber die Artikel, die Sie gelesen haben, hat niemand bei Google geschrieben, die Nachrichtenvideos kein YouTube-Redakteur produziert. Sondern eine Redaktion hat über die Themensetzung beraten, Journalisten und und Journalistinnen haben recherchiert, ein Social Media-Redakteur hat die fertige Geschichte auf verschiedenen digitalen Plattformen geteilt und sich mit den Lesern ausgetauscht. ORF-Moderator Armin Wolf sagte neulich bei der Verleihung eines wichtigen deutschen Journalistenpreises: „Wenn Abermillionen Menschen einen Großteil ihrer Informationen auf Facebook, YouTube, Twitter oder Instagram beziehen, dann muss irgendwer dafür sorgen, dass sie dort auch die Chance haben, auf verlässliche, nicht von Interessen gesteuerte Informationen zu treffen.“
„Nicht von Interessen gesteuert“. Das ist ein ganz zentraler Punkt. Seriöser Journalismus ist eben eine professionelle Fremdbeobachtung verschiedener Gesellschaftsbereiche und dient dazu, aktuelle und relevante Fakten für die öffentliche Kommunikation zur Verfügung zu stellen. Sein Kerninteresse ist es, das Publikum möglichst gut und unabhängig zu informieren, damit dieses Publikum sich selbst eine Meinung bilden kann.
Dieses Kerninteresse der neutralen Information für das Publikum unterscheidet den Journalismus zum Beispiel von Werbung, politischer Kommunikation oder Propaganda. Deren Kerninteresse ist, die Anliegen des Senders zu transportieren.
Jetzt liegt auf der Hand, dass Akteure, die eigene Interessen durchsetzen wollen, diese Form der professionellen Beobachtung und Berichterstattung oft als lästig empfinden. Und diesen Intermediär „Journalismus“ gern umgehen möchten, Wege suchen, um direkt dem Publikum ihre Version der Geschichte zu erzählen. Denn lieber ist allen, die die Macht dazu haben, sich direkt mit ihrer Botschaft ans Publikum zu wenden.
Wir haben heute Nachmittag hier in einem Workshop erstaunlich viele Parallelen gesehen, wie diese Message Control vor 500 Jahren wie heute umgesetzt wird. Zum Beispiel über Bilder. Schauen Sie sich Politiker-Inszenierungen auf Instagram an.
Wir haben auch viel über die Nutzung von Medieninnovation diskutiert heute Nachmittag, am Beispiel Kaiser Maximilians und des Buchdrucks. Auch hier können Sie eine Parallele zur Gegenwart ziehen: Werfen Sie einen Blick auf die Medienstrategien der Parteien. Da sehen Sie den Versuch, über digitale Kanäle Journalismus entweder zu umgehen oder ihm „als-ob-Journalismus“ entgegenzusetzen. Die FPÖ, um ein Beispiel herauszugreifen, hat rund um die Facebook-Seite von Parteichef Strache ein Medienuniversum aufgebaut. Die Facebook-Seite hat mit gestrigem Stand 799.340 „Fans“, es gibt einen eigenen FPÖ-Fernsehkanal, der Journalismus imitiert, ebenso wie eine wachsende Zahl von parteinahen Online-Magazinen, die von Parteiinteressen geleitete Information in der Verkleidung des unabhängigen Journalismus verbreiten.
Die klassischen Medien können dem leider derzeit zu wenig entgegensetzen. Während die PR-Abteilungen wachsen, schrumpfen die Redaktionen.
Auch das ist aus der historischen Distanz beobachtbar. Zusammengerechnet hat das Stift im 15. Jh. für die Heiligsprechung mit der entsprechenden medialen Verbreitung in heutiger Kaufkraft etliche Millionen Euro gut in die Zukunft investiert.
Heute befinden sich die journalistischen Medien durch die Digitalisierung in einer ökonomischen Krise. Ihre eine Einnahmequelle, die Werbung, fließt ins Silicon Valley. Ihre andere Einnahmequelle, das zahlende Publikum, gewöhnt sich an gratis verfügbare Information und kündigt seine Zeitungsabos oder versteht nicht, warum für die vielen Radio-, TV- und Online-Angebote des ORFs einen Beitrag zu leisten sinnvoll und notwendig ist.
Aber die Krise des Journalismus ist ein Krise der Demokratie. Schauen Sie nach Polen, schauen Sie nach Ungarn. Der öffentliche Rundfunk wird dort zur Propaganda-Maschine umgewandelt, unabhängige Zeitungen aufgekauft oder ökonomisch ruiniert, unabhängigen Plattformen keine Chance gegeben.
Wir müssen uns fragen: Welche Öffentlichkeit wollen wir? Eine, wie wir sie historisch hier bei uns und leider auch aktuell in den Nachbarländern beobachten können: Eine kontrollierte und gesteuerte Öffentlichkeit – oder eine freie und unabhängige?
Es steht Vieles auf dem Spiel. Weil ich davon ausgehe, dass Sie sich für die Variante frei und unabhängig entscheiden, möchte ich Ihnen im Kontext aktueller Debatten zuletzt noch mitgeben, welche Rahmenbedingungen aus meiner Sicht für unabhängigen Journalismus notwendig sind:
- Entscheidungsträger, denen klar ist, dass Journalismus eine Infrastruktur unserer Demokratie ist und die Journalismus als demokratisches Gut schützen.
- Gesetzliche Rahmenbedingungen, die Unabhängigkeit garantieren, ebenso wie BürgerInnen und Journalisten den Zugang zu Information ermöglichen – Stichwort: Informationsfreiheitsgesetz (dass es in Österreich als einzigem europäischen Land noch ein „Amtsgeheimnis“ gibt, sei hier als Anachronismus am Rande erwähnt.)
- Starke Medien: Da rede ich zum Beispiel für einen starken öffentlichen-rechtlichen Rundfunk. Der setzt Standards und ist für das gesamte Mediensystem wichtig. Bedenken Sie zum Beispiel: Religion, Wissenschaft – darüber würde in Österreich ohne ORF kaum berichtet, und im übrigen auch kaum über Länderthemen. Ich bin da ganz bei Landeshauptfrau Mikl-Leitner, die ja erst letzte Woche für die Beibehaltung der ORF-Beiträge plädiert hat, als „Grundsatzentscheidung für Österreich, will man einen konkurrenzfähigen öffentlich-rechtlichen österreichischen Sender“ haben. Es gehe darum, sich in Österreich die Eigenständigkeit gegenüber übermächtigen deutschen TV-Konzernen zu bewahren.
- Zentral ist aber auch die Absicherung der Zeitungslandschaft, unter anderem durch eine Anpassung der Presseförderung – allerdings nur für Medien, die sich Qualitätsstandards unterwerfen. Die bestehende Presseförderung wurde in den 70ern gemeinsam mit der Parteienfinanzierung beschlossen. Das Ungleichgewicht zeigt sich auch hier: 1976 betrug die Presseförderung rund 6 Mio, die Parteienförderung knapp 5 Mio. Euro. Schauen Sie sich das im Vergleich heute an: Die Presseförderung liegt bei 9 Millionen, aber die Parteien erhalten rund 30 Millionen….
- Und besonders wichtig: Ein kritisches und auch digital mündiges Publikum, das sich des Werts unabhängiger Information bewusst ist und das Desinformation, Fake News, Propaganda und Bots von überprüfbaren, unabhängigen Nachrichten unterscheiden kann.
Ich hoffe daher, Sie folgen meinem Appell für unabhängigen Journalismus – und setzen sich aktiv dafür ein, dass wir ihn weiter als Basis unserer Demokratie haben werden.
Und wünsche Ihnen in diesem Sinne viel Vergnügen in dieser erhellenden und großartigen Ausstellung, genießen Sie die kunstvolle Umsetzung von Maximilians Narrativen – und schärfen Sie Ihre Wachsamkeit dafür, wer Ihnen welches G’schichtl aufs Aug drücken will.
Herzlichen Dank.“