Uns flog ein Bösendorfer zu: Benefizabend mit Rudolf Buchbinder

Beim Benefizabend zugunsten von Journalist:innen im Exil spielte Rudolf Buchbinder Beethovens Pathétique auf einem Bösendorfer-Flügel, der bereits vor 100 Jahren im Dienste der Concordia stand.

1938 musste Concordia-Präsident Leopold Lipschütz vor den Nationalsozialisten fliehen. Lipschütz war Mitgründer und Chefredakteur der Kronen Zeitung und über 40 Jahre engagiertes Mitglied der Concordia. Seine Döblinger Villa wurde „arisiert“, seine Besitztümer musste er zurücklassen, darunter einen Bösendorfer-Flügel aus dem Jahr 1911, der auch für Wohltätigkeitsveranstaltungen der Concordia genutzt worden war.

Im Jänner 1939 beging Leopold Lipschütz gemeinsam mit seiner Frau im französischen Exil Suizid.

Sein Enkel Salvador schenkte nun der Concordia als Andenken an seinen Großvater den renovierten Flügel – mit dem Wunsch, dass er erneut der Concordia dienen und sie in ihren Zielen unterstützen möge.

Die Einweihung des Flügels fand bei einem Benefizabend im Presseclub statt bei dem 5.000 Euro für den JX-Fonds gesammelt werden konnten, der Journalist:innen im Exil unterstützt. Starpianist Rudolf Buchbinder bespielte den frisch restaurierten Bösensdorfer mit Ludwig Van Beethovens „Pathétique“.

Fotos: Luiza Puiu

Rede von Concordia-Präsident Andreas Koller

Dieser heutige Abend ist in mehrfacher Hinsicht ein besonderer. Der Concordia flog ein Flügel zu, und zwar ein Bösendorfer-Flügel, und wir dürfen heute erleben, dass Rudolf Buchbinder diesen Flügel, mit dem es eine besondere Bewandtnis hat, für uns einweiht. Dafür, lieber Herr Buchbinder, möchte ich mich herzlich bedanken. Sie machen uns damit nicht nur eine große Freude, Sie erweisen uns dadurch auch eine unendlich große Ehre. Mein Dank gilt auch unserem Freund Heinz Nussbaumer, dessen Engagement und Einsatz diesen Abend möglich gemacht hat.

Über die Geschichte hinter der Geschichte – also die Geschichte des Flügels – wird sie sogleich unsere Generalsekretärin informieren. Das Ende dieser Geschichte ist erfreulich, denn wir erleben heute ein wunderbares Konzert. Der Beginn dieser Geschichte ist geprägt von den Schrecken des Nationalsozialismus. Er ist geprägt von Rassismus, Antisemitismus, von Verzweiflung, es ging um die Enteignung, die Auslöschung, die Ermordung unserer jüdischen Mitbürger, es ging um Journalisten im Exil – und es ging um die Niederschlagung des freien Wortes, der freien Presse, die Österreich 1938 und in den Folgejahren erlebte. Auch die Existenz, ja das Leben von Leopold Lipschütz, der einst Präsident des Clubs war, wurde vernichtet. Sein Flügel ist uns geblieben.

Man soll nicht unvergleichliches vergleichen. Aber man darf daran erinnern, dass nur wenige Kilometer von hier auch heute Journalisten mit Vertreibung und Tod konfrontiert sind – so wie der ursprüngliche Besitzer dieses Klaviers, der einstige Concordia-Präsident Leopold Lipschütz. Man soll, ich sagte es, nicht Unvergleichliches vergleichen. Aber dass im Russland des Jahres 2022 allein die Verwendung des Wortes „Krieg“ einen Journalisten oder eine Journalistin für Jahre ins Gefängnis bringen kann, zählt auch zu dieser Geschichte. Oder der Umstand, dass erst dieser Tage eine mutige Fernsehjournalistin, die live gegen den Krieg gegen die Ukraine protestiert hatte, aus ihrem Heimatland fliehen musste.

Aus diesem Grund haben wir uns entschlossen, den Erlös des heutigen Abends – ich gehe hoffnungsvoll davon aus, dass Sie bereits gespendet haben – dem European Funds for Journalism in Exile widmen werden. Denn nur unabhängige Berichterstattung kann künftige demokratische Entwicklungen in den Heimatländern der vertriebenen Journalisten ermöglichen. Ohne unabhängigen Journalismus gewinnt die Zensur. Ohne unabhängigen Journalismus verlöscht das Licht der Demokratie. 

Ich erspare es Ihnen und mir, die drohende Einstellung der Wiener Zeitung in diesen Rahmen zu stellen. Ich möchte nur der Hoffnung Ausdruck geben, dass in dieser Sache das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Wenn die Regierung diese Zeitung nicht mehr herausgeben will, soll sie andere mit dieser Aufgabe betrauen. Zusperren und damit ein wesentliches Stück Qualitätsjournalismus zu vernichten ist keine Lösung.

Sehr geehrter Herr Buchbinder, meine Damen und Herren, herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Ich darf das Wort an unsere Generalsekretärin übergeben.

Rede von Concordia-Generalsekretärin Daniela Kraus

Mag sein, dass wir aus der Geschichte zu wenig lernen – sie lehrt uns aber jedenfalls, die Gegenwart besser zu verstehen.

Und die Geschichte dieses Flügels lehrt uns in der Concordia mehr – nämlich die Geschichte besser zu fühlen.

Wir alle wissen, dass viele der Mitglieder unserer Vereinigung 1938 ins Exil mussten, inhaftiert oder ermordet wurden. Mitglieder, wie es viele von Ihnen sind, Mitglieder des Vorstands – und Concordia Präsident Leopold Lipschütz.

Lassen Sie mich kurz über ihn erzählen, und wie uns sein Flügel zuflog.

Im Mai 1911 wurde der Flügel von Leopold Lipschütz direkt bei Bösendorfer erworben. Das Auftragsbuch von damals gibt es noch.

Lipschütz wurde 1870 in Bielitz geboren. Er betätigte sich von Jugend an publizistisch als Redakteur verschiedener Tageszeitungen.

1900 gründete er gemeinsam mit Gustav Davis die Kronen Zeitung, beide waren lange Jahre deren Chefredakteure. Lipschütz war an ihrem Erfolg wesentlich beteiligt. Folgendes erzählt Hans Dichand in seinen Erinnerungen: „Auf dem Gang kam mir zufällig Leopold Lipschütz entgegen, wie immer den Zigarrenspitz mit der zugehörigen Regalia im Mund, mit breiter, goldener Uhrkette, die aus dem Westentaschel baumelte, und dem freundlichen Blick seiner klugen, braunen Augen (…) Als Lipschütz einmal in einer Redaktionskonferenz aufgefordert wurde, das Niveau des Blattes zu heben, meinte er schlicht: ,Ich sag‘ euch was, meine Herren: sa ma g’scheidt, bleib‘ ma blöd!’“

Außerdem war Lipschütz Autor heiterer und populärer Bühnenstücke mit Titeln wie „Die Pariserinnen, „Gretchen“ oder „Die große Gemeinde“, erfolgreich uraufgeführt am Burgtheater. Und er war bestens verankert in der Kunst- und Kulturszene Österreichs.

Mehr als 40 Jahre war Lipschütz engagiertes Mitglied des Journalisten- und Schriftstellervereins Concordia. Im Jahr 1926 wurde er zu dessen Präsidenten gewählt und blieb das bis zur Auflösung der Concordia im Jahr 1938.

In seiner Antrittsrede sagte Lipschütz „Vorgänge in der jüngsten Zeit waren geeignet, das Prestige der Journalisten in der Öffentlichkeit herabzusetzen“ und forderte die Mittglieder der Concordia auf, die journalistische Standesehre zu verteidigen und Pflichtvergessene „unschädlich zu machen“, berichtet die Wiener Zeitung vom 12.6.1926. Der Kontext dazu: Das war kurz bevor Imre Bekessy, der Pionier des Revolverjournalismus, und, so formulierte es einmal Hans Rauscher, „Erfinder des journalistisch geschickten, politisch gut vernetzten, aber skrupellosen und erpresserischen und/oder bestechlichen reinen Kommerzjournalismus“, endlich Wien verlassen musste. Karl Kraus hatte da schon lange in der „Fackel“ Bekessys Methoden angeprangert und „Hinaus aus Wien mit dem Schuft!“ gefordert.

Lipschütz‘ Antritt als Präsident wurde im Restaurant Konstantinhügel im Prater mit einer großen Party gefeiert.

Die historischen Unterlagen zeigen: Lipschütz wusste, wie man feiert. In Lipschützs Döblinger Residenz, dem Palais Pick in der Hartäckerstraße, fanden in Zeiten seiner Präsidentschaft Gesellschaftsabende und soziale Engagements auch für die Concordia statt. Anlässe, an deren Erfolg der Flügel – und dessen virtuose Bedienung – einen wesentlichen Anteil hatten.

Überhaupt war Lipschütz sehr um das kulturelle Gedeihen der Concordia bemüht, hat viele Kultur- und Gesellschaftsabende organisiert – unter anderem mit Maria Jeritza, Leo Slezak, Franz Lehár, Fritz Imhoff, mit Hermann Leopoldi und Karl Farkas (1930) oder im Konzerthaus mit Sketches von Hugo Wiener und Jazz vom Korngold-Orchester (1932).
Auch der Concordia-Ball wurde von ihm sehr aktiv bespielt, jede/r der im Theater Rang und Namen hatte, trat auf; jede/r, der in Politik und Gesellschaft auf sich hielt, tanzte. Lipschütz verglich den Concordia Ball mit dem Wiener Kongress: Auch auf dem Concordia Ball tanze man und mache Politik. 1931 war mit dem Bundespräsidenten das japanische Prinzenpaar zu Gast, wie die Wiener Blätter ausführlich berichteten.

Doch wie Sie wissen, war die Zeit, in der er Präsident war, keine einfache. Lipschütz musste sich mit der Concordia nicht nur gegen „Schufte“ in der eigenen Branche einsetzen, sondern immer dringlicher gegen Einschränkungen der Pressefreiheit und gegen Zensur. Oder wie er es formulierte: „gegen die Preßknebelung“ und den „Weißfleckentyphus in den Wiener Zeitungen“. Manchen war der Tonfall der Concordia, die immer um Ausgleich bemüht war, zu mild. Etwa wenn es um den Einsatz gegen Zensur und Kolportierungsverbot der Arbeiter-Zeitung ging. Ab 1933 hätte die Concordia zwar harte Forderungen an das Regime gestellt, formulierte diese aber, wie eine Chronistin es ausdrückt, „stets sehr untertänig“.

Trotz ihrer Anpassung sollte die Concordia in Folge sukzessive in ihrer Bedeutung beschränkt werden. Zu den indirekten Folgen des Februar 1934 gehörte die Umstrukturierung alter und Verbindung neuer, regimetreuer Presseorganisationen, in denen die ‚Concordia‘ mitarbeiten sollte.

Ihr Präsident Lipschütz war überzeugter Österreicher, der, so legen die Quellen nahe, glaubte, innerhalb des Regimes etwas bewegen zu können. Er sagte im November 34 anlässlich einer Concordia-Feier im Festsaal der Universität, „oberste Pflicht der Journalistik“ sei, dem „Vaterland und dem Volk“ zu dienen -„wir Journalisten haben die besondere Aufgabe, den österreichischen Gedanken täglich in die Seelen der Bevölkerung einzuhämmern“.

Als 1936 die österreichische „Pressekammer“ gegründet wurde, wurde er deren Vizepräsident. Im gleichen Jahr gelang es Lipschütz, die Interessen der Journalisten im Urheberrecht und Verwertungsgesetz zu wahren, 1937 erhielt er vom Bundespräsidenten das Komturkreuz des Österreichischen Verdienstordens. Aus heutiger Sicht war die Concordia mit dem Regime zu nachsichtig.

Und nach dem Anschluss halfen weder Ämter noch Würden. Bereits am 12. März übernahm in der Redaktion der Kronen-Zeitung ein Nationalsozialist „im Namen des nationalsozialistischen Regimes“ die Leitung. Seine erste Handlung war, alle nicht „arischen“ Mitarbeiter zum sofortigen Verlassen aufzufordern. Nach dem Anschluss wurde die Pressefreiheit gänzlich zerstört, Zeitungen eingestellt und das deutsche „Schriftleitergesetz“ gültig, das die Berufsausübung an den sogenannten „Ariernachweis“ band. Die Concordia wurde am 17. März 1938 geschlossen, ihr Vermögen beschlagnahmt.

Ob sich Lipschütz zu diesem Zeitpunkt noch in der Redaktion oder überhaupt in Wien befand, ist nicht bekannt. Vermutlich noch im März 1938 floh Leopold Lipschütz mit seiner Familie vor den Nazis nach Frankreich. Wenig später nahm sein Leben ein tragisches Ende: Im Jänner 1939 beging er gemeinsam mit seiner Frau Therese im 69. Lebensjahr Suizid. Er hätte genug davon, auf diese Art zu leben, wissend, dass sein Land unter dem Joch der Nazis war, sagte er oft, und er sei wiederholt Ziel von Drohungen gewesen. Lipschützs Sohn und dessen Gattin blieben in Frankreich, wo 1956 sein Enkel Salvador zur Welt kam.

Und dieser entschloss sich nun, uns ein großzügiges Geschenk zu machen und den Bösendorfer dem Presseclub Concordia zu geben, damit er an seinen Großvater Leopold Lipschütz erinnere und „den österreichischen Schriftstellern, Journalisten und deren Unterstützern erneut dienlich sein möge“. Und die Concordia konnte das rührende und großzügige Angebot selbstverständlich nur mit großer Freude dankend annehmen.

Die Reise des Flügels aus Döbling in die Bankgasse führte nur über eine kurze Zwischenstation: Er blieb nämlich über die Jahrzehnte im Palais Pick, das im Jahr 1938 „arisiert“ wurde und bis 1945 den Naziverleger Friedrich Bohnenberger beherbergte. Nach dem Sieg über das Dritte Reich wurde das Palais zur Österreichischen Zentrale des Marshall Plans. Danach die Residenz des irischen Botschafters. Und auch die Botschaft nutzte den Bösendorfer, wie Jahrzehnte zuvor sein Käufer, für Konzerte bei Abendgesellschaften.

Im Jahr 2019 entschied sich Salvador Lipschutz, die Villa seines Großvaters zu verkaufen. Der alte Flügel hatte stand noch dort. Um ihn für seine Zukunft zu rüsten, ließ Lipschutz ihn vom Wiener Klaviermachermeister Heinz Letuha in dessen Werkstatt in der Burggasse komplett restaurieren. Es war faszinierend zu verfolgen, wie Herr Letuha und sein Team den Flügel zu alter Pracht verhalfen. Wenn Sie dazu näheres wissen wollen, bitte befragen Sie den kundigen Herrn Letuha, dem ich an dieser Stelle auch herzlich danken möchte.

Das 111 Jahre alte Instrument klingt und sieht jetzt wieder aus wie neu. Und wir feiern heute hier im Concordia Haus das nächste Kapitel seiner bewegenden Geschichte, die besser nicht beginnen könnte: Ich danke in unser aller Namen ganz herzlich dem großen Rudolf Buchbinder, dass er uns mit diesem Benefizkonzert ermöglicht, Kollegen und Kolleginnen, die, wie einst unser Präsident Lipschütz, ins Exil müssen, zu helfen.

Spenden Sie und sagen Sie weiter, dass es den Fonds für Journalisten im Exil der Reporter ohne Grenzen gibt.

Denn eines können wir aus der Geschichte lernen und nachfühlen: Wir müssen die „Concordia“ – die „Eintracht“ – nach der unsere Vereinigung benannt ist, aktiv leben, bei aller Vielfalt der Meinungen zusammenhalten, den Angriffen gegen die Pressefreiheit trotzen und uns für Kollegen und Kolleginnen in Not einsetzen. Wir sind nicht gefeit: der Kampf für die Demokratie hört nie auf.