Popularbeschwerde zur Sicherung der Unabhängigkeit des ORF: Concordia ruft Verfassungsgerichtshof an

25. April 2024

Mehr als 400 Personen haben im Juni 2022 die Popularbeschwerde des Presseclub Concordia unterstützt, um die Unabhängigkeit der ORF-Gremien prüfen zu lassen. Jetzt ist der Verfassungsgerichtshof am Zug.

Der Versuch seiner Instrumentalisierung durch die Politik ist so alt wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk selbst. Die Einfallstore für unzulässige Einflussnahme sind seine Gremien: Die Politik bestellt deren Mitglieder, die bestellen die Direktoren, die bestellen… Doch das müsste nicht sein. Mit dem BVG-Rundfunk gibt es ein Verfassungsgesetz, das die Unabhängigkeit des ORF garantiert und aus dem sich ergibt, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk der Allgemeinheit dient und deshalb von der Allgemeinheit finanziert und auch von der Allgemeinheit kontrolliert wird. Damit sollte eigentlich jede politische Einflussnahme auf den ORF ausgeschlossen sein. Allein, das ORF Gesetz wird den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht gerecht – seit 50 Jahren.

Die Popularbeschwerde zur Sicherung der Unabhängigkeit des ORF

Um das zu ändern hat der Presseclub Concordia am 8. Juni 2022 eine Popularbeschwerde zur Sicherung der Unabhängigkeit des ORF initiiert. Anlassfall für die Beschwerde war die von Medienministerin Susanne Raab unter Missachtung grundlegender unabhängigkeitssichernder Bestimmungen des ORF-G durchgeführte Bestellung von Publikumsräten. Diese Publikumsräte haben dann ihrerseits Stiftungsräte bestellt, die dann ihrerseits ihren Vorsitzenden bestellt haben. Bei der Bestellung des Stiftungsratsvorsitzenden spielten auch die berüchtigten Side-Letter eine tragende Rolle, wurde doch im „politisch unabhängigen“ Stiftungsrat exakt das umgesetzt, was sich die Regierungsparteien vorher im Koalitionsübereinkommen ausgemacht hatten.

Für all diese Bestellungen gibt es Regeln im ORF-G, die letztlich die Funktion haben die Unabhängigkeit des ORF zu sichern und daher dem BVG-Rundfunk entsprechen müssen. Es geht hier also um Vorgänge und gesetzliche Bestimmungen, die auch von großem Interesse für den Verfassungsgerichtshof sein müssten.

Der Marsch durch die Instanzen

Die Regulierungsbehörde KommAustria wacht über die Einhaltung des ORF-G. In ihrem erstinstanzlichen Bescheid stimmt die KommAustria dem grundsätzlich auch zu, sieht sich aber für die Frage, ob sich die Medienministerin bei der Bestellung von Publikumsräten an die grundlegenden Spielregeln aus dem ORF-G gehalten hat, nicht zuständig. Und damit auch nicht für die nachfolgenden Publikums- und Stiftungsratsbeschlüsse, denn das wäre dann eine indirekte Überprüfung von Ministerhandeln. Als oberstes Organ der Verwaltung sind MininsterInnen aus Sicht der KommAustria sozusagen sakrosankt, sie dürfe deren Handeln nicht überprüfen. Das Vorbringen zum Side-Letter sei im Übrigen zu unkonkret. Die Beschwerde wurde am 15. Dezember 2022 in allen Punkten zurückgewiesen.

Zur Konkretisierung des Side-Letter-Vorbringens beantragt der Presseclub Concordia in zweiter Instanz, beim Bundesverwaltungsgericht, Zeugen, die unmittelbare Wahrnehmungen zum Side-Letter und zu den damit zusammenhängenden Beschlüssen im Stiftungsrat haben müssen: Sebastian Kurz, Werner Kogler, Lothar Lockl, Thomas Zach. Über diesen Antrag sieht das Bundesverwaltungsgericht aber unkommentiert hinweg. Darüber hinaus bestätigt es die Unzuständigkeit der KommAustria und weist die Beschwerde am 5. März 2024 in allen Punkten ab.

Zwischenfazit

Korrekte Ausschreibung? Fachliche Anforderungen? Auswahlverfahren? Begründung der Entscheidung? Unvereinbarkeitsbestimmungen? Die Einhaltung dieser gesetzlichen Vorgaben bei der Bestellung von Publikums- und Stiftungsräten ist für KommAustria und Bundesverwaltungsgericht scheinbar von untergeordneter Bedeutung. Beide Instanzen vertreten die Ansicht, dass es das ORF-Gesetz der Regulierungsbehörde nicht erlaubt, all das zu überprüfen, wenn die Bestellung durch ein oberstes Verwaltungsorgan erfolgt.

Wenn Bestimmungen, die zentral für die Gewährleistung der Unabhängigkeit des ORF sind, nicht überprüfbar sind, dann sind die Bestimmungen, die diese Überprüfbarkeit verhindern, mit dem BVG-Rundfunk nicht vereinbar. Das bedeutet: Entweder legen Regulierungsbehörde und Bundesverwaltungsgericht die gesetzlichen Bestimmungen falsch aus, oder die gesetzlichen Bestimmungen, die diese Überprüfung verbieten, sind verfassungswidrig. Für die Klärung dieser Frage zuständig ist der VfGH.

Verfassungsgerichtshof

Nach fast zwei Jahren ist es nun so weit: Die Beschwerde (nach Art. 144 B-VG) ist beim Verfassungsgerichtshof eingebracht, wesentliche Argumente aus der Popularbeschwerde aus dem Juni 2022 werden dabei vorgebracht. Wir sind nun gespannt, inwieweit der VfGH unsere Rechtsansicht berücksichtigt:

  • Bei der Frage der Zuständigkeit geht es um wichtige unabhängigkeitssichernde Grundanforderungen. Wenn hinkünftig die Bestellung aller Gremienmitglieder durch die Allgemeinheit überprüfbar wäre, käme das einem rundfunkrechtlichen Quantensprung gleich. In weitere Folge würde es allenfalls zu einer zweiten Runde kommen, in der die fragwürdigen Bestellungsvorgänge von der KommAustria inhaltlich überprüft werden müssten.
  • In der Side-Letter Frage geht es um essentielle und zentrale Bestimmungen für die Zusammensetzung der Gremien. Wenn der VfGH diese Argumente aufgreift, könnten im besten Fall die Einflussmöglichkeiten der Politik massiv eingeschränkt werden, weit über die jüngste (vom Burgenland ausgelöste) Entscheidung des VfGH vom 5.10.2023 hinaus.

Eingebracht wurde die Beschwerde von Embacher Neugschwendtner Rechtsanwälte, Schleifmühlgasse 5/8, 1040 Wien, inhaltlich erarbeitet durch den Menschenrechtsanwalt Wilfried Embacher, und Walter Strobl, den Leiter des Rechtsdienst Journalismus im Presseclub Concordia.

Rückfragen: Walter Strobl, , +43 660 66 70815