Von Inseratenwillkür zur konvergenten Journalismusförderung

20. Oktober 2021

Status Quo

Der Presseclub Concordia tritt für eine Reform der Medienförderung im Sinne einer konvergenten Journalismusförderung ein. Gemeint ist damit, alle Bausteine der bisherigen Förderung von Medien in ein Gesamtkonzept und ein Gesamtgesetz zusammenzufassen. Derzeit zerfällt Medienförderung in mehrere Gesetze und Bestimmungen. Daher ist die Gesamtwirkung weder an klaren Zielen ausgerichtet noch erkennbar. So fehlt zum Beispiel eine dringend notwendige Qualitätsdefinition, die gleichermaßen allen Arten von Förderungen zugrunde gelegt werden muss.

Dazu kommen Inserate von Bund, Ländern und öffentlichen Stellen. 2020 gab die öffentliche Hand mit 222 Millionen mehr als je zuvor für Inserate aus, 47 Millionen davon die Bundesregierung. Die im Juni 2021 von Medienhaus Wien veröffentlichte Studie „Scheinbar transparent“ analysiert akribisch die Inseratenvergabe von Ministerien und Bundeskanzleramt an Tageszeitungen seit 2018 und kommt zu dem Schluss, sie sei „ideell und konzeptuell aus dem Ruder gelaufen“. Gemessen an der Reichweite laut Media-Analyse wurden für einen Österreich-Leser 8,22 Euro ausgegeben, ein Standard-Leser war nicht einmal ein Drittel davon wert. Mehr als die Hälfte der von der Bundesregierung an Tageszeitungen vergebenen Werbegelder flossen an Krone, Heute und Mediengruppe Österreich. Die Stadt Wien warb 2020 um 24 Millionen Euro, davon rund 10 Millionen in den drei großen Boulevardzeitungen.

Dem gegenüber steht eine Presseförderung, die seit 1994 (21,62 Millionen) kontinuierlich gesunken ist und derzeit pro Jahr rund 9 Millionen Euro ausmacht. Im bestehenden System profitieren am allermeisten jene Medien, die sich am wenigsten um ausgewogenen demokratischen Diskurs, die Kernaufgabe von Journalismus, kümmern. In Österreichs Newsrooms ist der Druck enorm. Die Anzahl der Journalistinnen und Journalisten ist in der letzten Dekade dramatisch, um 25 Prozent, gesunken. Ohne Zuschuss öffentlicher Gelder stünden die Überlebenschancen für Qualitätsjournalismus in Österreich schlecht. Diesen zu stärken, muss das Ziel der Neukonzeption von Medienförderung sein.

Good Practices

Dass das geht, zeigen Reformen in vielen europäischen Ländern. Diese Reformen basieren auf wissenschaftlichen Studien, die gleichermaßen den Bedarf der Unternehmen wie den Nutzen für die Demokratie in Betracht ziehen.

  • Dänemark hat ein ganzes Portfolio an Fördermöglichkeiten und gilt insbesondere bei der Förderung journalistischer Innovationen als Vorbild. Der Beitrag zur demokratischen Debatte, klare Qualitätskriterien und die nachgewiesene Beschäftigung von Journalisten und Journalistinnen sind Voraussetzungen.
  • In den Niederlanden wurde 2014 die gesamte Medienförderung umgebaut. Aus traditioneller Presseförderung wurde ein „Stimulierungsfonds für Journalismus“, bei dem nicht das bedruckte Papier, sondern Vielfalt und journalistische Arbeitsplätze in den Redaktionen im Mittelpunkt stehen. Investigativjournalismus wird direkt durch Übernahme von Gehaltskosten gefördert. Für neue Projekte gibt es eine Start-Finanzierung, die Prototyping und Pilotprojekte ermöglicht. Mit einem System flexibler Förder-Ausschreibung wird rasch auf aktuellen Bedarf reagiert.
  • Schweden hat 2018 seine Presseförderung von einer Printförderung zu einer plattformunabhängigen Medienförderung umgebaut. Die Mittel wurden deutlich erhöht, förderbar sind alle Medienformen von Podcasts bis Zeitungen, wenn sie nach redaktionellen Kriterien produziert werden.
  • Der Blick muss nicht unbedingt in die Ferne schweifen. Mit der „Wiener Medieninitiative“ hat Wien ein Modell, das nun seinerseits in vielen Staaten als Beispiel für gelungene Medienförderung herangezogen wird. In zwei Förderschienen werden Neugründungen und Innovationen in bestehenden Medienunternehmen unterstützt. Die Kriterien sind Innovation, Wirtschaftlichkeit sowie journalistische Qualität und Relevanz. Bewertet und ausgewählt wird entlang eines Kriterienkatalogs von einer unabhängigen Jury, der auch mehrere nichtösterreichische Expertinnen und Experten angehören. Ein Bonus wird gewährt, wenn Projekte von Frauen geleitet werden.

Weitere Anregungen

  • In Deutschland wird über eine Stärkung des gemeinwohlorientierten Journalismus nachgedacht. Eine einfache Anregung dazu gibt das „Forum Gemeinnütziger Journalismus“: Mit der Möglichkeit des Gemeinnützigkeitsstatus für nicht gewinnorientierte journalistische Projekte würde die Absetzbarkeit von Spenden möglich.
  • In Norwegen gibt es sehr klare Branchenvereinbarungen zum Schutz der Unabhängigkeit der Redaktionen, die seit 2020 im „Medieansvarsloven“ (Gesetz zur redaktionellen Unabhängigeit und Verantwortung in redaktionellen journalistischen Medien) Niederschlag gefunden haben. Damit sind die Redaktionen gesetzlich vor Interventionen, auch des eigenen Managements, geschützt. Das würde auch Österreichs Redaktionen wohltun.

Eckpunkte einer konvergenten Journalismusförderung

Die Beispiele zeigen: Konvergente Journalismusförderung statt veralteter und fragmentierter Presse- und Medienförderung ist möglich. Auch in Österreich ist ein Neustart mit einem neuen Gesamtkonzept notwendig. Einige Eckpunkte:

  • Im Zentrum steht die Stärkung von unabhängigem, vielfältigem und qualitätsvollem Journalismus als zentralem Pfeiler der liberalen Demokratie.
  • Die Mittel für Inserate – und zwar in Gesamtbetrachtung der Schaltung aller öffentlicher Stellen – müssen gedeckelt und die somit eingesparten Beträge der Journalismusförderung gewidmet werden. In einem Land, in dem 5-10 Mal so viel wie etwa in Deutschland für öffentliche Inserate ausgegeben wird, lässt sich sehr viel davon in zielgerichtete Journalismusförderung umleiten.
  • Ein mit den frei gewordenen sowie den bereits jetzt eingesetzten Mitteln dotiertes System der konvergenten Journalismusförderung ersetzt das Stückwerk aus Presse-, Publizistik-, Privatrundfunk- und sonstigen kleinteiligen und unkoordinierten Förderungen. Die derzeit von der Regierung geplante Transformationsförderung ist Teil dieses Pakets.
  • Zentral für die neue Journalismusförderung sind die Unterstützung journalistischer Arbeitsplätze, die Einhaltung professioneller und ethischer Grundsätze (Mitgliedschaft beim Österreichischen Presserat, Vorhandensein ethischer Richtlinien wie Redaktionsstatuten, Ombudspersonen, Ethikkodizes etc.) und insbesondere die strikte Trennung von Redaktion und Werbung sowie nachweisbare Qualitätssicherungssysteme in den Redaktionen (Qualitätsmanagement, Weiterbildung, F&E, Evaluierungssysteme).
  • Unterschiedliche Förderinstrumente und Förder-Schwerpunkte wie Diversität, die Stärkung einzelner Ressorts, Forschung und Weiterbildung, können einfach und rasch etabliert werden.
  • Neue journalistische Projekte werden besonders unterstützt, Innovation und Transformation in bestehenden Medienhäusern gefördert. Dabei ist die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle und digitaler Infrastruktur – auch in Kooperation mehrerer Unternehmen – zentral, damit Medien in Zukunft wirtschaftlich erfolgreicher und damit unabhängiger von öffentlichen Mitteln werden.
  • Die Konzeption dieser Journalismusförderung basiert auf wissenschaftlichen Studien und international vergleichender Forschung und wird öffentlich diskutiert. Die Kriterien und Vergabeprozesse sind transparent.
  • Die Ziele sind klar definiert, die Ergebnisse werden systematisch evaluiert, die Förderinstrumente weiterentwickelt.
  • Für die verbleibenden Regierungsinserate erstellt ein Gremium des Nationalrats eine Richtlinie, damit alle Parteien in die Definition eingebunden sind. Eine Reform des Medientransparenzgesetzes sieht eine Meldung aller Inserate, eine übersichtliche Darstellung der Ergebnisse, regelmäßige Berichte und die dauerhafte Verfügbarkeit der Daten (die derzeit nach zwei Jahren gelöscht werden) vor.
  • Auch in diesem Zusammenhang weisen wir noch einmal auf die Relevanz der Abschaffung des Amtsgeheimnisses für ungehinderten Zugang zu Information – und damit eine größere Distanz zu Amtsträgern – hin.

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