50 Jahre BVG-Rundfunk: Eine Bestandsaufnahme von Walter Strobl
18. Juli 2024
In weiten Teilen Europas wird die Zerstörung von öffentlich-rechtlichem Rundfunk betrieben. Hierzulande werden Unabhängigkeit und Bestand eines der Allgemeinheit verpflichteten und durch die Allgemeinheit finanzierten Leitmediums durch das BVG-Rundfunk gesichert. Eine Bestandsaufnahme zum 50-jährigen Jubiläum.
Am 20. Juli 1974 trat das BVG-Rundfunk als verfassungsrechtliche Grundlage für den ORF in Kraft. Für die demokratische Willensbildung ist öffentlich-rechtlicher Rundfunk angesichts von Propagandaplattformen, Parteimedien und einer zuletzt von Jürgen Habermas beschriebenen fragmentierten Öffentlichkeit so wichtig wie wohl nie zuvor. Denn in Erfüllung seiner öffentlichen Aufgabe ist der ORF einem gesetzlichen Auftrag und dem Objektivitätsgebot verpflichtet. Zudem ist er aufgrund seiner Finanzierung durch die Allgemeinheit weitgehend von Marktgesetzlichkeiten befreit. Damit unterliegt er nicht nur strengeren Regeln als private kommerzielle und nichtkommerzielle Medien, sondern folgt auch einer anderen Logik. Gemeinsam sollen diese drei Medientypen eine zuverlässige Öffentlichkeit als Grundlage des demokratischen Gemeinwesens sicherstellen.
Unabhängigkeit als Funktionsvoraussetzung
Zentrale Voraussetzung für die Erfüllung seiner öffentlichen Aufgabe und letztlich auch für Legitimation und Akzeptanz seiner Finanzierung durch die Allgemeinheit ist die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Dementsprechend verlangt das BVG-Rundfunk, dass die Unabhängigkeit zu gewährleisten ist. Das bedeutet, dass der Gesetzgeber Strukturen zu schaffen hat, die schon die bloße Möglichkeit von unzulässiger Einflussnahme verhindern. Eine Analyse, die der Staatsrechtler und Menschenrechtspionier Felix Ermacora in seinem Aufsatz „Verfassungsrechtliche Probleme der Rundfunkreform“ bereits 1974 getroffen hat.Nun wird in der Debatte immer wieder vorgebracht, dass die handelnden Personen Kraft ihrer Integrität, schon für die notwendige Unabhängigkeit sorgen würden. Aber, wenn man sich auf diese persönliche Integrität ver- und die notwendigen gesetzliche Strukturen außer Acht lässt, bleibt Unabhängigkeit nicht mehr als ein historischer Zufall. Vor diesem Hintergrund ist festzuhalten, dass das BVG-Rundfunk zwar seit 50 Jahren die Unabhängigkeit des ORF verlangt, dass aber ebenso lange die einfachgesetzlichen Bestimmungen dieser verfassungsrechtlichen Vorgabe nicht gerecht werden.
Verfassungsrechtliche Leitplanken als Bestandsgarantie
Daher verwundert es auch nicht, dass der VfGH (Verfassungsgerichtshof) mit der vom Burgenland initiierten Gremienentscheidung (2023) wesentliche Bestimmungen des ORF-Gesetzes für verfassungswidrig erklärt hat. Mit diesem Erkenntnis hat der VfGH aber auch den Bedeutungsgehalt des BVG-Rundfunk gestärkt, indem er nicht nur die Unabhängigkeitsgarantie präzisiert, sondern darüber hinaus auch eine Funktionsgarantie ausgesprochen hat. Zusammen mit der schon in der Gebührenentscheidung (2022) aufgestellten Finanzierungsgarantie sichern diese ‚verfassungsrechtlichen Leitplanken‘ die institutionelle Autonomie des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und sein Wirken als elementarer Bestandteil der medialen demokratischen Informationsinfrastruktur. Wenn man davon ausgeht, dass die Politik dem Recht folgt, sollte damit einem Zurechtstutzen auf einen ‚Grundfunk‘, der von manchen politischen Kräften immer wieder ins Spiel gebracht wird, oder gar einer Zerschlagung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ein verfassungsgesetzlicher Riegel vorgeschoben sein. Gravierende Probleme der Unabhängigkeit sind damit aber freilich nicht gelöst.
Gremien als Einfallspforten für politische Begehrlichkeiten
Der Versuch seiner Instrumentalisierung durch die Politik ist so alt wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk selbst. Die Haupteinfallspforten für unzulässige Einflussnahme sind seit jeher seine Gremien. Große Organisationsfragen, grundlegende Programmentscheidungen und nicht zuletzt finanzielle wie personelle Ressourcen – der zentrale Wille des ORF wird in seinem Stiftungsrat gebildet. Wer Einfluss auf diese Willensbildung hat, kann die Strukturen und Rahmenbedingungen bestimmen, unter denen der ORF seine demokratische Aufgabe wahrnimmt. Das ist letzten Endes auch eine Gefahr für die Inhalte. Dabei kommt es, wie gesagt, nicht darauf an, ob Einfluss auch tatsächlich ausgeübt wird, unzulässig ist schon die bloße Möglichkeit dazu. Deshalb dürfen mit den Worten des VfGH ausgedrückt „Gremien nicht einseitig durch faktisch oder rechtlich zu einer Gruppe verbundene Personen dominiert werden“.
Loyalitätsbindungen und unabhängigkeitssichernde Gegenmaßnahmen
Nun birgt aber schon die bloße Bestellung (eigentlich Bestimmung) zu einem Amt die Gefahr von faktischen Abhängigkeitsverhältnissen in sich. Schon Walter Berka wusste, dass „förmliche Weisungsfreiheiten der Rundfunkorgane […] durch faktische Parteiloyalitäten überlagert werden“. Will man die Autonomie der ORF-Gremien stärken, hat man zwei Hebel. Zum einen kann man das Loyalitätsband zwischen Besteller und Bestelltem schwächen, indem man bei der persönlichen Stellung des Gremienmitglieds ansetzt. Zum anderen kann man den Pluralismus bei der Gremienzusammensetzung fördern, durch eine Diversifizierung jener Stellen, die die einzelnen Gremienmitglieder bestimmen: Je weniger Gremienmitglieder von einer einzelnen Stelle bestimmt werden, desto geringer wird ihr potentieller Einfluss auf das gesamte Gremium.
Realitycheck
Mit beiden Ansätzen hat sich der VfGH in seiner Gremienentscheidung beschäftigt. So nennt er etwa klare Bestellungs- und Unvereinbarkeitsbestimmungen als unabhängigkeitsstärkend. Problematisch dabei ist, dass diese Regeln zwar auf dem Papier bestehen, nach herrschender Rechtsprechung aber bei zumindest 24 von 35 Stiftungsräten und bei 30 von 30 Publikumsräten mangels Zuständigkeit der Regulierungsbehörde gar nicht überprüfbar sind und daher die Unabhängigkeit nicht wirksam sichern können. In Bezug auf den Pluralismus stellt der VfGH fest, dass Kanzler und Regierung derzeit zu viele Gremienmitglieder bestellen. Was er nicht prüft (weil diesbezüglich an den Antrag des Burgenlandes gebunden), ist der Einfluss der politischen Parteien hinter Kanzler und Regierung. Die Frage der Unabhängigkeit gegenüber Regierungspartien ist also bis heute vom VfGH noch nicht beantwortet.
Verantwortung des Gesetzgebers
Eine Beschwerde des Presseclub Concordia, die sich sowohl gegen die mangelnde Überprüfbarkeit von unabhängigkeitssichernden Regeln bei der Bestellung von Gremienmitgliedern, als auch gegen den beherrschenden Einfluss von Regierungsparteien wendet, ist derzeit beim VfGH anhängig. Der könnte diese Beschwerde zum Anlass nehmen, um weitere ‚verfassungsrechtliche Leitplanken‘ zur Sicherung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aufzustellen. Der Gesetzgeber jedenfalls hat bis 31. März 2025 Zeit, um zumindest die Vorgaben der Gremienentscheidung umzusetzen. Wünschenswerter, im Sinne der demokratischen Aufgabe des ORF, wäre eine Reform, die eine umfassende Unabhängigkeit gewährleistet, also nicht nur gegenüber der Bundesregierung, sondern auch gegenüber den politischen Parteien hinter der Bundesregierung. Das 50-jährige Jubiläum des BVG-Rundfunk wäre dafür ein würdiger Anlass gewesen.
Walter Strobl ist Jurist mit Schwerpunkt Urheber- und Medienrecht. Er leitet den Rechtsdienst Journalismus beim Presseclub Concordia. Der Text ist die Überarbeitung eines Beitrags, der im „Magazin der Liga für Menschenrechte“ (Ausgabe Juli 2024) erschienen ist.
Unser umfassender Forderungskatalog zur Sicherung der Unabhängigkeit des ORF